Dragons Marzahn: Für Hauptamt braucht es Mut

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Angefangen als Anwalt ist Jannes Schneider-Oeser jetzt als Kiezkoordinator bei den Dragons Marzahn tätig. Im Interview mit Klubtalent erzählt er von mutigen Entscheidungen und innovativen Ideen, die der Verein trotz der finanziellen Herausforderungen angeht.

Hallo Jannes, du bist mittlerweile Kiezkoordinator in Marzahn. Ursprünglich hast du allerdings Jura studiert. Wieso wurdest du doch kein Anwalt?

Die Theorie während des Jura Studiums hat mir sehr viel Spaß gemacht. Als ich dann allerdings begonnen habe, in einer Kanzlei zu arbeiten, habe ich schnell gemerkt: Das will ich definitiv nicht mein ganzes Leben machen. Es war mir zu trocken und ich hatte mehr mit Excel-Tabellen als mit Menschen zu tun.

Und wie kamst du dann zu einem Job im Sport?

Nachdem ich gemerkt habe, dass mir das Anwalt sein keine Freude bereitet, habe ich überlegt: Was macht mir Spaß? Ich wollte gerne etwas machen, bei dem ich mit vollem Herzen dabei bin. Ich war schon früher als Trainer aktiv und hatte dann das Glück, dass Freunde mir den Kontakt zu Alba Berlin hergestellt haben. 2016 habe ich dort in der Online Redaktion angefangen und dort auch Teams betreut. Ich habe dann festgestellt: Genau in die Richtung möchte ich gehen. Über Alba kam ich dann zu deren Partnerverein nach Marzahn, wo ich jetzt arbeite.  

Was ist dein aktueller Job?

Ich bin Kiezkoordinator des Kooperationsverbundes Alba Wuhlethal, sowie Trainer und sportlicher Leiter der Dragons Marzahn.

Was sind deine Aufgaben als Kiezkoordinator?

Als Kiezkoordinator kümmere ich mich darum, Kontakte zu Schulen und Kitas herzustellen und zu pflegen und Honorar- und Kooperationsverträge abzuschließen und abzurechnen. Außerdem stelle ich Trainer*innen ein, übernehme die Personalverwaltung und darf Events planen und durchführen. Ich übe die Tätigkeit im Hauptamt aus, arbeite also 40 Stunden die Wochen.

Was macht dir so viel Spaß an deinem Job?

Ich mag es, etwas Praktisches mit Menschen zu machen. Der Klassiker eben. Vor allem ist die Tätigkeit auch sehr abwechslungsreich. So verbringe ich neben der Halle zum Beispiel viel Zeit im Büro. Das ist  auch die Zeit in der ich sehr kreativ arbeiten und mich Projekten widmen kann. Ich denke mir dann neue Konzepte aus und überlege, wie man sie umsetzen kann. Ich trage also auch Verantwortung, was ich persönlich sehr mag. Außerdem ist es wahnsinnig toll ein Projekt von der Idee bis zum Ende zu begleiten. In der Form wie hier gibt es das wohl nur bei wenigen Jobs. Ich kann sowohl Dinge selbst machen, als auch mir Kompetenzen von außen hinzuholen, wenn ich mal nicht weiterkomme. Wenn das Projekt dann auch noch erfolgreich ist, ist es umso schöner. Außerdem freue ich mich, dass ich so auch was für die Gesellschaft leisten kann und nicht nur für mich selbst.

Das klingt auf jeden Fall toll. Bist du der Einzige, der hauptamtlich arbeitet?

Nein, im Gegenteil. Wir haben unter anderem zwei Trainer, die hauptamtlich mit einem Umfang von 40 Stunden arbeiten. Außerdem haben wir einen dualen Studenten, der auf 30 Stunden kommt. Dazu kommen noch drei Minijobber, die jeweils zehn Stunden arbeiten, zwei FSJ’ler sowie fünf Honorartrainer.

Ihr beschäftigt wirklich viele Leute. Wie groß ist euer Verein denn?

Als Verein selbst sind wir gar nicht so groß. Wir haben so ca. 300 Mitglieder. Wir finanzieren allerdings unsere Stellen durch den Kooperationsverbund aus Schulen, Kitas, Wirtschaftspartner*innen und der Senatsverwaltung. Dieser wurde 2016 gegründet und besteht mittlerweile aus sechs Kitas, sechs Grundschulen und zwei Oberschulen. Über den Verbund bespielen wir jetzt 1.200 Kinder die Woche, zusätzlich zu den 300 Mitgliedern aus dem Verein. Im Schnitt sind wir in jeder Schule ca. sieben Stunde die Woche und an jeder Kita fünf Stunden. Dadurch entwickelt sich ein Stundenumfang, der es uns erlaubt, Trainer*innen hauptamtlich anzustellen. Unsere Mitgliedsbeiträge allein würden leider im Moment nicht reichen.

Wie finanzieren sich die Stellen dann?

Das ist sehr unterschiedlich. An den Schulen läuft es meist über die Personalkosten oder über Bonusprogramme. Die Schulen wenden also ihre eigenen Töpfe auf. An den Kitas werden einige über die Senatsverwaltung gefördert, genauer gesagt über das Projekt „Vereine machen Kita“.  An diesen Kitas sind wir sogar acht Stunden die Woche. Die anderen Kitas werden dann über die Wohnungsbaugesellschaften der Kieze finanziert.

Wieso habt ihr euch dafür entschieden, aufs Hauptamt zu setzen?

Unser Vereinsvorsitzender Florian Lau ist eng mit Alba Berlin vernetzt und zudem Schulsportbeauftragter des Landes.  Er hat lange überlegt, wie man Sportvereine und Schulen besser miteinander verknüpfen kann, gerade mit Hinblick auf den Ganztagsunterricht. Gemeinsam mit Alba Berlin hat das Land dann das Projekt „Alba macht Schule“ ins Leben gerufen, ein mittlerweile deutschlandweit bekanntes Pilotprojekt. Wir haben uns dann im Windschatten angedockt und wurden  Partnerverein. Damit leisten wir auch einen Beitrag zu einer sozial-gerechten Stadt, denn auch wir möchten, dass alle Kinder Zugang zu Sport haben, und damit zu Bewegung und Gesundheit.

Was sind die Vorteile?

Für große Vereine liegen die Vorteile neben den ideellen Werten vor allem in der Reputationsgewinnung. Somit ist es eine tolle Gelegenheit, Fans zu gewinnen. Fakt ist, von 1.000 Kinder wird vielleicht nur einer am Ende Profi. Die anderen 999 werden aber dafür Basketballbürger, also Fans, die dem Basketball treu bleiben und hoffentlich lebenslang Spaß an Bewegung finden.

Und für kleinere Vereine wie euch?

Für uns ist vor allem die Mitgliedergewinnung entscheidend. Durch die Schulen und Kitas haben wir leichter Zugang zu Kindern, die potenzielle Mitglieder sind. Zudem können wir so die Weichen für hauptamtliche Trainer*innen stellen, die wir uns anders nicht leisten könnten. Hauptamt ist deswegen wichtig, weil vor allem junge motivierte Trainer nur dann bleiben, wenn sie Geld bekommen und nicht zwischen vier Vereinen hin und herspringen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Die meisten nehmen dafür gerne „in Kauf“, dass sie dann auch an Schulen und Kitas arbeiten müssen.

Welche Auswirkungen hätte es auf euren Verein gehabt, wenn niemand diesen Mut aufgebracht hätte?

In erster Linie wären wir nicht unserem Ideal nachgekommen. Weit weniger Kinder würden durch uns in Berührung mit Sport kommen. Wir hätten weniger Mitglieder, keinen Kooperationsverbund mit dem wir Kinder an Sport heranführen, deutlich weniger weibliche Spielerinnen, wären qualitativ sowohl in der Trainer*innen- als auch Spieler*innenausbildung bedeutend schlechter. Es gäbe keine Angebote für Kinder zwischen 4 und 10 Jahren und keine Sportprofilklasse für Talente. Wir wären einfach nur irgendein Verein, nicht Teil des Kiezes und erst recht nicht Dreh- und Angelpunkt der Sportwelt Marzahn-Hellersdorf. Wir könnten die Bewegungspolitik des Bezirkes nicht mitgestalten.

Merkt ihr denn, dass viele Kinder, mit denen ihr das erste Mal in den Schulen und Kitas Kontakt habt, tatsächlich auch zum Verein kommen?

Wir haben gerade dazu eine Erhebung gemacht und haben festgestellt, dass wir seit dem Projektstart 2016 ein sehr starkes Mitgliederwachstum haben. Innerhalb von vier Jahren sind wir von 200 auf 300 Mitglieder gewachsen. Vor allem im weiblichen Bereich konnten wir stark wachsen. Vorher hatten wir hier ehrlichgesagt Probleme, da wir nicht richtig wussten, wie wir die Mädchen erreichen und dann auch für den Verein gewinnen können. Im Verein soll aber perspektivisch mehr auf Leistungssport gesetzt werden. Für Kinder und Jugendliche, die mehr machen wollen. Der Breitensport soll dann vor allem über die Schulen und Kitas abgedeckt werden. Vielen Kindern reicht es auch, Basketball bloß in den AGs zu spielen. Für alle anderen bieten wir im Verein dann ein Zusatzangebot an.  

So viele hauptamtlich Engagierte stellt man nicht von heute auf morgen ein. Was waren zu Beginn die größten Hürden?

Da gab und gibt es bis heute vor allem zwei Hürden. Die erste Hürde: Es braucht immer einen Mutigen, der vorangeht. Und hier hatte unser Verein sehr viel Glück. Unser Vorstand ist immer wieder dazu bereit, neues auszuprobieren. Und sie hatten auch den Mut zu sagen: Wir stellen jetzt jemanden ein, der das Ganze koordiniert. Und da wären wir auch bei der zweiten Hürde: Meine Koordinationsstelle. Diese ist sehr schwer zu finanzieren, aber unerlässlich für so ein Projekt. Es fällt viel Arbeit an, den das Ehrenamt bzw. der Vorstand gar nicht bewältigen kann. Viele Geldgeber verstehen allerdings nicht, was der direkte Nutzen ist. Die sehen nur: Ah da sitzt jemand im Büro, aber davon profitieren die Kinder ja nicht direkt. Da braucht es wieder diesen einen Mutigen, der vorangeht. Durch die Koordinationsstelle konnte schließlich jedoch so viel abgearbeitet werden, dass wir wieder Gelder für andere Projekte generieren konnten. Wir haben durch die Stelle Zeit- und Personalressourcen gebündelt, die uns voranbringt.

Wie wird deine Stelle finanziert?

Meine Stelle wurde ursprünglich anteilig über die Schulen finanziert. Allerdings haben viele Schulen dagegen gewehrt aus den oben genannten Gründen. Seit zwei Jahren wird meine Koordinationsstelle durch den Landessportbund finanziert, die ¾ meiner Stelle bezuschussen. Das letzte Viertel bezahlt Alba Berlin. Allerdings sind wir gerade am Scheideweg. Am Ende des Jahres läuft die Finanzierung aus und wir überlegen eine neue Finanzierungsmöglichkeit, denn wir werden es in den nächsten zwei Jahren nicht schaffen, diese allein aus den Mitgliedsbeiträgen zu stemmen. Der Landessportbund hat uns zumindest fünf Stunden für die nächsten zwei Jahre zugesichert, aber danach ist Schluss. Was aber schonmal eine tolle Hilfe ist. Wir haben zudem noch eine weitere Stütze: Bewegungsnetzwerker, ein Projekt des Deutschen Sport- und Präventionsnetzwerk. Hier sollen sportartenübergreifend Kinder mobilisiert und alle Sportarten im Kiez gefördert werden. Auch sie haben uns zumindest 10 Stunden versprochen, für Aufgaben, die Kita und Schule betreffen. Und dann sind wir noch im Gespräch mit ein, zwei Stiftungen.

Ganz schön zerstückelt.

Ja, das ist auch sehr nervig und Ziel ist es, dass wir die Stelle selbst finanzieren können und zwar nachhaltig. Im Hinblick auf den sozialen Kiez ist eine Mitgliedsbeitragsanpassung immer schwierig, aber wir suchen nach Lösungen.

Habt ihr denn noch andere Projekte außer der Zusammenarbeit mit den Schulen und Kitas?

Ja, zum Beispiel ein Projekt, um mehr Mädchen für den organisierten Sport zu begeistern, vor allem langfristig. Das Projekt läuft auch sehr gut. Auch Schiedsrichter*inngewinnung, Trainer*innengewinnung oder die Gewinnung von neuen Vorstandsmitgliedern ist für uns wichtig. Außerdem hatten wir Geflüchtetenprojekte. Aber so eine Masse an Projekte ist eben nur mit entsprechenden Ressourcen umsetzbar…  

Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Natürlich gibt es einen Wunsch der Expansion, aber in einem gesunden Maß. Lieber machen wir an einer Kita oder Schule noch ein paar Stunden mehr, als überall ein bisschen. Aber das Ziel ist es, irgendwann alle Schulen und Kitas bei uns im Kiez zu bespielen. Vor allem die Kitasportangebote haben wir erst vor zwei Jahren begonnen, hier gibt es noch viel Potenzial. Hierfür haben wir auch eine Spielsammlung aufgebaut, die sich an den Kompetenzen der Kinder mit Blick auf den Rahmenlehrplan der Senatsverwaltung orientiert. Diese soll noch weiter anwachsen und auch anderen Vereinen zur Verfügung gestellt werden. Zudem haben wir am Barnim-Gymnasium eine Sportprofilklasse gründen können. Das wollen wir ebenfalls an einer Gesamtschule einführen. Damit jedes Kind, dass wir mal betreut haben, die Chance hat, auch an einer weiterführenden Schule ein begleitendes Sportangebot zu haben. Die Idee hier ist, dass die Jugendlichen von der 7. Klasse bis zum Schulabschluss jede Woche fünf Stunden Basketball haben: Zwei der vier regulären Sportstunden, zwei Stunden AG plus eine weitere Stunde Frühtraining. Zwei Stunden haben sich zudem normalen Sportunterricht.

Was muss sich deiner Meinung nach noch verändern, damit die Gesellschaft noch mehr vom Sport profitieren kann?

Ich finde, es braucht Mut. Auch von den obersten Instanzen, die dann auch Stellen wie die meine fördern. Das gesellschaftliche Gewissen könnte hier bei vielen Institutionen noch stärker ausgeprägt sein. Aber ich habe die Hoffnung, dass sich da etwas bewirken lässt und man zusammen was auf die Beine stellen kann, wovon die Gesellschaft wirklich profitiert.


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