Ausbildung zum Mechatroniker, FSJ im Verein, Politik-, Lehramt und Deutsch als Zweitsprache-Studium, Tätigkeit als Lehrer: Es dauerte eine Weile, bis Tobias Scherbaum seinen Traumjob fand. Doch vor fast neun Jahren nahm er all seinen Mut zusammen und schuf sich zusammen mit der Vorstandschaft seines Heimatvereins seine Wunschstelle selbst – als hauptamtlicher Mitarbeiter beim TSV Seeg-Hopferau-Eisenberg.
Hallo Tobi, deine „Karriere“ war bisher alles andere als geradlinig. Wie kam‘s dazu?
Nach der Mittleren Reife, absolvierte ich erstmal eine Ausbildung zum Mechatroniker, jedoch war mir schnell klar, dass ich in einem technischen Beruf völlig falsch aufgehoben war. Deshalb orientierte ich mich noch einmal neu und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr in meinem Heimatverein, dem TSV Seeg-Hopferau-Eisenberg, wo ich mich sehr wohlgefühlt habe. Zudem hatte ich das erste Mal in meinem Leben den Eindruck, etwas Sinnvolles zu tun.
Wieso kamst du dann trotzdem erst wieder über Umwegen zum Verein?
Gute Frage. Zum einen fehlte mir damals vermutlich der Mut und die Reife, um nach Möglichkeiten einer Weiterbeschäftigung zu suchen. Zum anderen kam ein Job im Breitensportverein aber auch nicht so richtig für mich in Frage, weil ich solche Stellen gar nicht kannte. Wenn, dann hätte ich eher in Richtung Sportmanagement tendiert. Da hätte man jedoch vermutlich vor allem im Büro gesessen. Die andere Alternative wäre in Richtung Trainer im Leistungssport gewesen, aber Leistung war mir nie das Wichtigste und als Fußballer war ich selbst sicherlich auch zu schwach für eine solche Aufgabe. Ich fand leistungsunabhängig den Umgang mit allen Kindern im Rahmen eines Breitensportvereins am spannendsten für mich. Ich habe aber einfach noch sieben, acht Jahre gebraucht, um mich als Mensch weiterzuentwickeln und mir darüber bewusst zu werden, was ich in meinem Leben am liebsten machen möchte.
Wieso hast du dann doch den Schritt gewagt?
Ich wollte mit Menschen arbeiten, vor allem mit Menschen, die aus eigener Motivation heraus etwas machen. Dieses Gefühl hatte ich in der Schule oft nicht, außer bei meiner Tätigkeit als Lehrer für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Ich erinnerte mich daran, dass ich ein ähnliches Gefühl damals bei meinem FSJ hatte und wagte einen Anlauf, die Verantwortlichen meines Vereins zu fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, mir eine Teil- oder Vollzeitstelle zu schaffen und dann haben wir durchgerechnet, wie es eventuell funktionieren kann.
Wie hat der Vorstand auf deinen Vorschlag reagiert?
In der Vorstandschaft unseres Vereins bestand schnell Interesse, zumal ich dort ja auch mein FSJ absolviert hatte. Trotzdem musste erstmal alles soweit durchgerechnet werden, um zu große finanzielle Lücken und Risiken auszuschließen. Wir haben uns dann aber auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt und seitdem läuft es – zumindest aus meiner Sicht – nicht schlecht!
Was brauchte es denn, damit der TSV Seeg-Hopferau-Eisenberg diesen Schritt wagte?
Es brauchte viel Mut und Rückgrat, eine vernünftige Kalkulation, aber auch eine gewisse Frustrationstoleranz und ein „dickes Fell“.
Und was sind deine Aufgaben dort?
In vielerlei Hinsicht ist meine Arbeit nicht so weit entfernt von der eines Lehrers, Erziehers, Schul- oder Kindergartenleiters. Ich kümmere mich viel um die Organisation und Durchführung des Trainings- und Spielbetriebs, betreue viele Mannschaften im Verein, organisiere verschiedenste Veranstaltungen (Turniere, Fußballcamps, Elternabende, Ausflüge etc.), plane die Sitzungen unserer Abteilungsleitung oder Spartenversammlungen und auch bei der Trainersuche bin ich aktiv beteiligt und spreche konkret Personen an, die dann ehrenamtlich tätig werden. Ich würde sagen, ich sitze ungefähr 30% am Schreibtisch und verbringe 70% auf dem Platz.
Wie würdest du deine Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen beschreiben?
Als gut. Ich bin vor allem für die Übungsleiter Ansprechpartner und entlaste sie, soweit sie das möchten. Trotz Hauptamt geht es nur als Team. Als Einzelkämpfer, der alle Aufgaben und Probleme allein bewältigen muss, wäre man auch schnell ausgebrannt. Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit wertgeschätzt und als sinnvoll angesehen wird. Man muss jedoch als Hauptamtlicher auch in der Lage sein, sich zurückzunehmen und nicht alles an sich reißen zu wollen. Gleichzeitig sind klare Aufgabenprofile wichtig, damit man nicht der „Vereinstrottel“ wird. An der Entscheidungsfindung hat sich bei uns nichts geändert, denn Entscheidungen werden nach wie vor nach einem Mehrheitsprinzip getroffen.
Oft besteht die Sorge, dass eine hauptamtliche Stelle einen Verein finanziell belastet. Wie ist dort eure Erfahrung?
Trotz- oder vielleicht auch wegen der Vollzeitstelle- hat der TSV Seeg-Hopferau-Eisenberg, seitdem ich da bin, immer eine gesunde Jahresbilanz. Wir haben unsere Mitgliedsbeiträge auch nur leicht erhöht. Zudem investiere ich viel Zeit in die Organisation von Veranstaltungen, die einen wichtigen Teil unserer Einnahmen darstellen. Hinzukommen Sponsoring und Einnahmen aus dem Vereinsheim. Und ehrlicherweise muss man sagen, dass mein Gehalt überschaubar ist. Ich habe aber immer die Möglichkeit, mir freiberuflich in der Schule etwas dazuzuverdienen und unterrichte momentan auch recht viel. Nur mit dem Fußball-Gehalt wird es knapp.
Das Thema „Mitgliedsbeiträge“ wird sehr kontrovers diskutiert.
Hier muss sich etwas im Bewusstsein ändern. Niedrige Mitgliedsbeiträge sind kein Qualitätsmerkmal, sondern ein Hindernis bei der Gestaltung und Sicherung der eigenen Vereinszukunft. Man darf dabei auch nie vergessen, dass Vereine Immenses leisten und bei Fußballvereinen die Kicker zwei bis dreimal die Woche betreut werden. Bei anderen Hobbies wie Ballett, Fitnessstudio oder dem Erlernen eines Musikinstruments werden höhere Beiträge ohne Murren bezahlt. Ich glaube, bei einer guten Informationspolitik und Begründung wäre dies auch im Fußball möglich und dass sich viele Mitglieder dies auch leisten können. Mit einem Jahresbeitrag von 85 Euro für Kinder/Jugend und 120 Euro für Erwachsene ist der TSV Seeg-Hopferau-Eisenberg immer noch sehr günstig. Um unsere Arbeit deutlich zu erleichtern, wäre ein höherer Beitrag aber sicher wünschenswert.
Welchen Ratschlag würdest du Vereinen mit auf den Weg geben, die es sich ebenfalls vorstellen können, eine hauptamtliche Stelle zu schaffen?
Zuerst würde ich eine Bedarfsanalyse machen, in welchem Bereich und in welchen Umfang eine Stelle am besten ist. Danach sollte sich überlegt werden, welche Attribute die Person mitbringen sollte bzw. wie ihr Stellenprofil aussehen soll. Je nach Stelle und Charakteristika des Vereins kann dies variieren. Außerdem sollte man eine grobe Finanzkalkulation vornehmen. Wie ist der Status Quo und an welchen Stellschrauben kann der Verein ggf. drehen, um die Stelle finanzieren zu können? Es ist zudem wichtig, sich auf kritische Stimmen vorzubereiten und Argumente dagegen zu sammeln. Von Kritikern sollte man sich nicht entmutigen lassen. Hilfreich ist es auch, die Mitglieder von vorneherein mit einzubinden und abzutasten, was sie davon halten bzw. später aktiv um ihre Zustimmung zu werben.
Findest du, dass es manchmal auch hilfreich sein kann, wenn externe Unternehmen und Organisationen auf den Verein schauen und Optionen aufzeigen?
Auf jeden Fall. Ich glaube, manchmal ist es gut, wenn die Mitglieder nicht das Gefühl haben, das ist jetzt eine Entscheidung „von oben“, sondern hier werden einfach neue Ideen von außen vorgestellt. Das kann auch eine Entlastung für den Vorstand sein.
In deinem Buch „Der zufriedene Kindertrainer“ schreibst du, dass deine Freundin zwar viel auf dich verzichten muss, sie dafür aber einen gut gelaunten, zufriedenen und psychisch gesunden Tobi hat. Wie kommt es dazu?
Ich empfinde wenige meiner täglichen Aufgaben tatsächlich als Arbeit. Selbst wenn ich aus irgendeinem Grund finanziell ausgesorgt hätte, würde ich meinen derzeitigen Arbeitstag trotzdem so weiterbehalten. Für mich passt es einfach.
Seine Erfahrungen mit einer Vollzeitstelle im Breitenfußball hat Tobias Scherbaum während der Corona-Zeit in einem kleinen Buch zusammengefasst. Von den täglichen Aufgaben und Herausforderungen bis hin zu den Finanzierungsmöglichkeiten einer solchen Stelle wird im Buch alles ausführlich geschildert.