• FTSV Heckershausen: Wieso der Vorstand nun 1.000 „Überstunden“ weniger machen muss

    Ein Telefonat hier zwischendurch, eine Mail da… das läppert sich. Wir haben dann für uns gemerkt, dass wir rund 1000 „Überstunden“ haben, dir wir gerne anderweitig besetzen wollen. Das entspricht ungefähr einer Teilzeit-Stelle.

    Nach 20 Jahren in der Industrie war es für Tobias Henne Zeit, eine neue Herausforderung zu suchen. Schnell war für ihn klar: Er möchte gerne im Sport arbeiten. Im Interview mit Klubtalent erzählt er, welcher kleine Trick den Vorstand des FTSV Heckershausen von einer hauptamtlichen Stelle überzeugt hat, wie die Stelle schließlich geschaffen wurde und ob er es sich vorstellen kann, noch einmal in der Industrie zu arbeiten. 

    Hallo Tobias, du bist die erste hauptamtliche Person beim FTSV Heckershausen: Wie kam es dazu, dass der Verein jemanden einstellen wollte?

    Die Entwicklung dieser Idee habe ich sozusagen hautnah miterlebt. Ich bin seit fünf Jahren beim Verein aktiv. Angefangen habe ich dort als Trainer von Leichtathletik-Gruppen. Nach einem Jahr kam der Vorstand auf mich zu, ob ich mir vorstellen könnte, ebenfalls im Vorstand zu arbeiten. Dies ist eher ungewöhnlich, weil man normalerweise vorher einige Jahre im Verein arbeitet, aber eine Person ist aus dem Vorstand ausgeschieden und sie waren sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Für mich war das Annehmen des Angebots Ehrensache. Das Thema Hauptamt kam schon relativ zu Beginn meiner Amtszeit auf und auch vorher hat sich der Verein schon damit beschäftigt. Wir sind nur fünf Vorstandsmitglieder, haben dafür aber Tonnen von Arbeit auf unseren Schreibtischen liegen. Es wurden bzw. werden auch immer mehr statt weniger Aufgaben, egal, ob bürokratischer, juristischer oder administrativer Natur. Alle im Vorstand waren sich daher einig, dass sie eigentlich gerne im Vorstand bleiben möchten, aber das Arbeitspensum so kaum mehr zu stemmen ist.

    Gab es einen entscheidenden Punkt, wo ihr gesagt habt: Jetzt machen wir es? 

    Eigentlich gab es da zwei. Zunächst haben wir angefangen, genau zu notieren, welche Aufgaben wir überhaupt erledigen und wie viel Zeit wir als Vorstand dafür investieren. Und wir wussten zwar, dass wir viel Zeit investieren, aber als wir das nochmal schwarz auf weiß gesehen haben, haben wir schon nicht schlecht gestaunt. Ein Telefonat hier zwischendurch, eine Mail da… das läppert sich. Wir haben dann für uns gemerkt, dass wir rund 1000 „Überstunden“ haben, dir wir gerne anderweitig besetzen wollen. Das entspricht ungefähr einer Teilzeit-Stelle.

    Und was war der zweite Punkt? 

    Der Landessportbund Hessen hat die Initiative „Starker Sport, starker Verein“ initiiert. Dort konnte man sich für eine Vereinsberatung bewerben und wir wurden als einer von 15 Vereinen ausgewählt. Gemeinsam mit einem Berater haben wir uns dann in vier Workshops intensiver mit unserem Verein auseinandergesetzt und ein Schwerpunktthema war natürlich das Hauptamt. In der Zeit haben wir dann den Mut gefasst, den Schritt zu wagen. 

    Wie seid ihr dann vorgegangen? 

    In einem ersten Schritt mussten wir die Satzung anpassen, so dass Hauptamt bei uns überhaupt möglich war. Dann haben wir einen Kosten- und Finanzierungsplan aufgestellt. Bei der nächsten Jahreshauptversammlung haben wir uns das offizielle Okay unserer Mitglieder eingeholt. Danach haben wir dann die Stelle offen ausgeschrieben und Vorstellungsgespräche geführt. Ich habe mich auch ganz offiziell auf die Stelle beworben und sie schließlich auch bekommen. Startschuss war der 1.3. dieses Jahrs. Vorher bin ich noch aus dem Vorstand ausgeschieden, weil bei uns eine solche Doppelfunktion aus leitendem Ehrenamt und Hauptamt nicht möglich ist. 

    Haben sich außer dir noch viele andere Personen auf die Stelle beworben? 

    Ehrlich gesagt, hatten wir zu Beginn Sorge, dass sich niemand bewirbt. Wir dachten, dass eine Teilzeit-Stelle sowie unsere Anforderungen vielleicht abschrecken könnten, aber das Gegenteil war der Fall. Wir hatten elf Bewerbungen, die breit gefächert waren. Von Personen aus der Gemeinde, die z.B. in der Gemeindeverwaltung gearbeitet haben bis hin zu Personen, die geografisch gar nicht hier in der Gegend verortet waren, sondern z.B. in Norddeutschland. Wir wollten aber eine Person, die schon regelmäßig vor Ort sein kann. Am Ende bin ich es dann geworden. 

    Was hat dich dazu bewogen, dich für die Stelle zu bewerben? 

    Hier muss ich ein wenig weiter ausholen. Eigentlich bin ich Vollblut Produktmanager in einer Solar-Firma gewesen und konnte dort bereits relativ jung Verantwortung übernehmen. Ich war 20 Jahre in der Industrie unterwegs und habe sowohl die positiven als auch negativen Seiten erlebt. Aber wenn man dann irgendwann 40 ist und die Hälfte des Jahres nicht Zuhause, sondern auf Geschäftsreise ist, fragt man sich irgendwann, ob es noch das richtige für einen ist. Das ist bei mir auch nicht über Nacht geschehen, sondern war ein Prozess über mehrere Jahre. Ich kam dann zu dem Entschluss, dass ich gerne einen neuen Weg einschlagen und mir eine für mich sinnstiftende Aufgaben suchen möchte. Damals war es aber noch komplett offen, was das für mich bedeutet. Es hätte z.B. auch ein Handwerksjob werden können. 

    Das Rennen hat aber dann der Sport gemacht? 

    Ja, ich bin selbst ein Vereinskind und war früher auch Leistungssportler im Triathlon. Ich habe mich dann dazu entschieden, mich selbstständig zu machen und eine Beratungsfirma zu gründen. Dort berate ich Menschen, die ein sportliches Ziel haben und dies umsetzen möchten, z.B. an einem IronMan teilzunehmen. Zuerst habe ich dann eine klassische Lizenz-Ausbildung zum Leichtathletik-Trainer gemacht. Im Anschluss daran habe ich eine Ausbildung zum Fitnesstrainer und Ernährungscoach absolviert, die ich als Master Personal Trainer abgeschlossen habe.

    Und wieso nun der Schwenk in Richtung Vereinsarbeit? 

    Leider kam wie so vielen auch meinem kleinen Unternehmen die Coronakrise dazwischen und von jetzt auf gleich sind meine Umsätze weggebrochen. Die Schwimmbäder hatten zu, es gab keine Sportveranstaltungen mehr und selbst 1 zu 1 Coachings waren nicht mehr erlaubt. Ein halbes Jahr habe ich das noch durchgehalten, mich dann aber entschieden, erst einmal einen Cut zu machen. Da ich das Glück habe, dass meine Frau maßgeblich zum Familienunterhalt beiträgt, konnte ich es mir erlauben, mir ein halbes Jahr eine Auszeit zu nehmen und mich nur noch auf das Vereinstraining zu konzentrieren. In dieser Zeit ergab sich dann die Stellenausschreibung des Vereins und ich hatte das Gefühl, dass das für mich eine gute Kombination sein kann. Auf der einen Seite einen sicheren Job zu haben, mit dem ich auch Renten- und Versicherungstechnisch abgedeckt bin, der mir aber gleichzeitig Spaß macht und auf der anderen Seite nebenberuflich doch noch Selbstständig zu sein. 

    War ein Rückgang in die Industrie auch nochmal eine Option für dich? 

    Ein Kollege hat mich das letztens auch gefragt und ich muss sagen: Im Moment kann ich mir das nur schwerlich vorstellen. 

    Was sind deine Aufgaben im Verein? 

    Meine Aufgaben sind sehr vielfältig. Das fängt damit an, dass Eltern mich anrufen und fragen, ob die Schuhe ihres Kindes irgendwo aufgetaucht sind, die vergessen wurden. Dass ist aber eher etwas, dass zwar dazugehört, was aber nicht meine tagesfüllende Aufgabe ist. 

    Ein Schwerpunkt ist unsere Finanzen. Außerdem bin überall dort zu finden, wo Vereinsmitglieder und Ehrenamtlich mich brauchen. Das kann dann z.B. auch projektbezogen sein. Ein Beispiel: Wir richten jedes Jahr zwei sehr große Laufveranstaltungen aus. Früher wurden die Events rein ehrenamtlich umgesetzt, doch nun konnte der Projektmanagement Teil an mich ausgelagert werden und die Arbeitspakete für die Ehrenamtlichen wurden deutlich humaner. 

    Eine weitere Aufgabe war auch die Digitalisierung des Vereins, u.a. in der Mitgliederverwaltung und dies den Mitgliedern zu erklären und nahe zu bringen. Wir haben außerdem für den ganzen Verein einheitliche Vereinsbekleidung angeschafft und vorab Sponsorengeldern eingeworben. Zudem waren dieses Jahr Fördergelder ein großes Thema – vom Ausfindig machen bis hin zur Beantragung.

    Kannst du hier ein Beispiel nennen, wofür ihr Fördergelder beantragt habt? 

    Wir planen den Neubau unseres Vereinsclubhauses. Offiziell gehört uns dieses nicht, sondern der Gemeinde. Im Vorfeld der Bundestagswahl hat unser politischer Vertreter in Berlin mehr als eine Millionen Euro an Bundesfördermittel für den Neubau eingeworben. Damit wir bzw. die Gemeinde das Geld aber wirklich bekommen, war ein offizieller Förderantrag notwendig, der viel Arbeit mit sich gebracht hat. Aber wir sind optimistisch, dass der Antrag bald auch offiziell durch ist und dann geht es in die Planungs- und Umsetzungsphase.  

    Du arbeitest mittlerweile seit knapp neun Monaten im Verein. Wie wird das Hauptamt bisher angenommen? 

    Der Vorstand ist natürlich sehr glücklich über die neu geschaffene Stelle, da sie nun deutlich entlastet werden. Man muss aber auch sagen, dass nicht von und jetzt auf gleich alles reibungslos funktioniert. Obwohl ich vorher selbst im Vorstand war, brauchte es erst einmal eine Findungsphase und die Zusammenarbeit musste sich entwickeln. Hier ist Vertrauen essenziell. Auch die Abteilungsleitungen sind sehr dankbar über die hauptamtliche Stelle, weil ich auch ihnen viel Arbeit abnehme. Bei den Mitgliedern ist es, glaube ich, so, dass es ihnen prinzipiell egal ist, ob jemand hauptamtlich im Verein arbeitet oder ehrenamtlich. Was ihnen aber nicht egal ist, ist die Qualität der Vereinsangebote, dass sich jemand um ihre Anliegen kümmert und das Angebote regelmäßig stattfinden. Und dass ist im Zusammenspiel von Hauptamt und Ehrenamt deutlich besser umzusetzen als rein ehrenamtlich.

    Wie finanziert sich deine Stelle? 

    Bevor wir uns überlegt haben, wie wir die Stelle finanzieren, haben wir uns zuerst die Frage gestellt, was die Person überhaupt verdienen soll. Wir hatten hier zunächst gar keine Vorstellung. Wir wussten nur, dass es mehr als Mindestlohn sein wird, aber dass es definitiv kein Industrie-Gehalt sein kann. Wir haben uns dann an dem Tarif-Gehalt von Mitarbeitenden in einem Landessportbund orientiert. Erst im nächsten Schritt haben wir uns dann überlegt, wie wir das finanzieren. Der Status Quo bei uns ist: Wir haben relativ niedrige Mitgliedsbeiträge, aber gute Einnahmen über unsere Veranstaltungen, über die wir die meisten unserer Kosten decken können. Trotzdem haben wir uns dazu entschieden, den Beitrag human anzuheben, haben das bei der Mitgliedsversammlung angesprochen und es gab keine Gegenstimmen, sondern im Gegenteil, viel Verständnis. Außerdem haben wir Geld während Corona eingespart, da einige Ausgaben nicht getätigt wurden. So können wir die Kosten für meine Stelle erst einmal decken. 

    Und was sind eure Pläne für die Zukunft?

    Natürlich wollen wir mehr Mitglieder gewinnen. Unser nächstes Ziel ist daher, neue Sportangebote zu schaffen. Außerdem haben wir gerade Gedankenspiele, wie wir verstärkt Synergien mit anderen Vereinen in der Gemeinde schaffen können. Nach einem Jahr reflektieren wir außerdem nochmal, wie wir mit meiner 20 Stunden Stelle hinkommen und ob wir da nochmal nachjustieren müssen.  

    Ihr möchtet auch eine hauptamtliche Stelle schaffen? Dann hier entlang.